Andeutungen über grüne Wohnkultur

Draußen, null-neun-fünfzehn

Berlin, im September 2015: goldener Spätsommer, die Hauptstadt schwitzt, Sahara-Wind weht durch die Straßen. Wer kann, sucht Erfrischung im Grünen. Urbanes Leben spielt sich im Freien ab, Kinobetreiber, Konzertveranstalter und Gastronomen verlegen ihre Aktivität vor die Tür, selbst das Radio sendet aus dem Park. Der Mensch drängt in den Freiraum. Nach Draußen.

Ein weiteres Phänomen kann man im Stadtraum der Metropole nach Jahren relativer Ruhe wieder wahrnehmen: Baugerüste, Staub, und Baustellenverkehr an vielen Ecken: Berlin wächst, Berlin braucht Wohnraum, Nachverdichtung heißt das Gebot der Stunde. In der öffentlichen Diskussion stehen Anzahl, Lage und Kosten der Wohnungen im Vordergrund. Vom zugehörigen Freiraum spricht man hier weniger.

Hindernislauf

Wiewohl also täglich neu Meldungen zum Wohnungsbau durch die Medienlandschaft jagen, spielt das Thema in der landschaftsarchitek­tonischen Praxis (noch) keine große Rolle. Grün in der Stadt ist derzeit zwar in aller Munde. Geht es jedoch um das Verhältnis von Freiraum und Wohnen, kann man aus Sicht der Landschaftsarchitekten nicht unbedingt von einer Liebesbeziehung sprechen. Beengte Räume, konkurrierende Ansprüche, schwierige Bedingungen für Pflanzen und gespannte Budgets machen das Planen im „Wohnumfeld“ häufig zu einem Hindernislauf, für den man als Landschaftsarchitekt langen Atem und hohe Frustrationstoleranz braucht.

Außenwohnraum

Angesichts des akuten Bedarfs an Grundstücken mag der Primat der medialen Aufmerksamkeit auf den Gebäuden naheliegend erscheinen. Und doch ist qualifizierter urbaner „Außenwohnraum“ auch heute essentiell: Ein Rückblick auf die Geschichte des Geschosswohnungsbaus unterstreicht, dass sich ein links liegen gelassener Außenraum schnell zum gravierenden Problem im Stadtquartier auswachsen kann.

Berliner Freiraumtradition

Ensembles

Gerade die Berliner Stadtbaugeschichte ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts reich an überzeugenden Beispielen, die Gebäude und Freiraum zusammen entwickelt haben. Angefangen bei den Gartenstädten und den Reformsiedlungen der 1920er, über das Hansaviertel bis hin zu den Stadterweiterungen der 1990er Jahre profitieren diese Quartiere noch heute davon als stark nachgefragte Wohnstandorte in der Hauptstadt. Diese Ensembles – von den berühmten Unesco-Welterbe-Siedlungen bis zur ‚gebauten Architekturausstellung’ IBA stehen auch dafür, dass sich neben den weltbekannten Architekten auch die Namen der Landschaftsarchitekten im öffentlichen Gedächtnis verankert haben: Ludwig Lesser, Leberecht Migge, Hermann Mattern, Hertha Hammerbacher, Walter Rossow, Hans Loidl, Dieter Kienast, Regina Poly, um hier nur einige zu nennen.

Wohnumfeldmaßnahmen

Demgegenüber stehen explizit als Wohnumfeldverbesserungen bezeichnete Anstrengungen, die nachträglich und kostspielig zu reparieren versuchten, wo zunächst aus konzeptioneller und ökonomischer Hinsicht gespart worden war. Nämlich bei Investitionen, die die atmosphärische Gestaltung des Freiraums jenseits funktionaler Notwendigkeiten wie Müllstandorte, Feuerwehrflächen, Fahrradstellplätze oder Beleuchtung betrafen. Mithin den Freiraum (wieder) als Lebensraum in den Fokus rücken wollten.
Hierfür stehen Berliner Begriffe wie Hofbegrünungs-Programm 1983 oder die umfangreichen Maßnahmen der Nachwendezeit in den Plattenbau-Siedlungen im Ostteil der Stadt. Viele heute praktizierende Landschaftsarchitekten haben bei diesen „Wohnumfeldmaßnahmen“ (WUM) bereits mitgewirkt.

Trends

Draußensein

Wobei der Begriff „Wohnumfeld“ in seiner funktionalistischen Schwammigkeit seit jeher Teil eines Dilemmas ist: weder ist Stadtraum ein Feld, noch bildet Außenraum lediglich die Peripherie zu einem eigentlichen Kern. Wohnen ist kein Zweck an sich, das hat selbst der schwedische Möbelriese erkannt. Eine separate Betrachtung der Sphären Drinnen und Draußen geht am Leben vorbei. Die aktuelle Realität drückt sich im Begriff „Außenwohnraum“ besser aus: der heutige Stadtmensch verlegt sein Leben, wo es geht, ins Freie, er will nicht „noch wohnen, sondern schon leben“. In Zeiten von drahtloser Kommunikation und gewandelter Mobilität manifestiert sich die urbane Identität längst nicht mehr nur über die eigenen vier Wände, sondern vermehrt übers „Draußensein“.

Gartenträume

Neben dem eigenen Balkon, der zumeist Standard ist, sind Orte in Wohnungsnähe nachgefragt, wo man das tun kann, was erst „an der frischen Luft“ und in Gemeinschaft möglich wird: spielen, Nachbarn begegnen, sich aktiv erholen und zunehmend: urbanes Gärtnern. Für die Identität des Großstadtmenschen scheint essentiell, was zu Migges Zeiten im eigentlichen Sinn überlebenswichtig war. Gärtnern ist neuerdings weit vorne: „Wohnst Du noch oder gräbst Du schon?“

Klimaschutz

Über alle individuellen Gartenträume und Initiativen hinaus braucht es im hot-spot Großstadt aber vermehrt Maßnahmen in Hinblick auf die Klimaschutzziele. Angesichts der Wetterkapriolen – Stichwort Saharahitze – ist das Thema klimagerechte Stadtentwicklung von niemand mehr ernsthaft ignorierbar. Dazu bedarf es gebündelter Anstrengungen für mehr Verdunstung: begrünte Dächer und Fassaden, entsiegelte Flächen und Baumpflanzungen. Städte wie München oder Hamburg haben hier Programme und Satzungen aufgelegt. Hier ist im Bereich Wohnen noch viel Berliner Luft nach oben.

Ja, das möchste…

Lage, Lage, Lage

Bei der Entscheidung für den Lebensmittelpunkt spielt Freiraum – als Außenwohnraum wie auch als wohnungsnaher Grünraum - eine immer wichtigere Rolle. Das wissen nicht nur die Immobilienmakler. Selbst in der Mieterstadt Berlin ist heute der alte Maklerspruch „Lage, Lage, Lage“ ein geflügeltes Wort. Und für den Traum vom „Draussen, im Zentrum“ hat sich seit Tucholskys Gedicht „Das Ideal“ (1927) nicht viel geändert: „Ja, das möchste: Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße.“.

Nachverdichtung

Wohnungsneubau in Berlin heute, das impliziert jedoch, dass das Hauptaugenmerk nicht mehr in der klassischen Stadterweiterung an der Peripherie oder der neuen Vorstadt liegt. Diese Tendenz hat jüngst das Senats-Workshop-Verfahren „urban living“ (und nicht „housing“!) unterstrichen. Dabei wurde die Notwendigkeit eines integrierten Ansatzes offensichtlich: gerade bei Nachverdichtung muss der knapper werdende Freiraum von Beginn an intelligent mitgedacht werden: less space, more quality!

Vermittlung

Wenn es aber dichter wird, mobilisiert sich schnell die Anwohnerschaft. Und es kommt selbst – oder gerade? - in der Stadt, die sich arm aber sexy dünkt, der „NIMBY-Effekt“ immer lauter zum Tragen. Initiativen schützen Bäume, den Bestand, die Brache, ihren Hinterhof und bisweilen auch das eigene Vorurteil. Mit bloßer Besitzstandswahrung ist auch im Freiraum kein Blumentopf zu gewinnen. Da sich ansässige und zuziehende Quartiersbewohner im Draußen begegnen, kommt Landschaftsarchitekten eine besondere Vermittlerrolle zu.
Freiraumplanung ist kraft ihrer Expertise für das Dazwischen die geeignete Ebene, um verschiedenste Ansprüche zu integrieren und bei Konflikten zu vermitteln, also im eigentlichen Sinn Partizipation zu gewährleisten.

Greenwashing

Wobei man ehrlicherweise zugeben muss: bei der Nachverdichtung in Altbauquartieren kurbelt das Neuschaffen von Wohnungen und damit auch von Außenraum nicht selten die Gentrifizierung an. Betrachtet man aktuelle Berliner Bauschilder solcher Projekte – oft genug schwingt ein flotter Freiraum-Begriff im Verkaufs-Titel mit – so kann man sich des Eindrucks schwer erwehren, dass hier das Draußen zum banalen „greenwashing“ herhalten muss.
Umso wichtiger ist also, das Gemeinschaftspotential des Freiraums in der Wohnanlage und im Quartier zu organisieren und nachhaltig auszustatten.

Draußen ist „in“

Man kann zusammenfassen: das Label “outdoor“ klebt derzeit an vielen Marketing- Trends, Draußen ist „in“, ohne Frage. Kann man damit auch von einer Renaissance des privaten städtischen Freiraums sprechen? Und braucht es für das neue Draußen-Gefühl die Landschaftsarchitekten?
Selbstverständlich! - hier setzt diese Ausstellung an!

Grüne Wohnkultur

Sonderpreise

Das Themenfeld Freiraum und Wohnen nimmt beim Bund Deutsche Landschaftsarchitekten seit 2011 eine herausgehobene Bedeutung ein, die durch den Sonderpreis Wohnumfeld zum Deutschen Landschaftsarchitekturpreis unterstrichen wird. Ebenso wurde beim deutschen Bauherrrenpreis ein Sonderpreis Freiraum ausgelobt, um dem Thema Grüne Wohnkultur mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen.

best practice

Vor diesem Hintergrund und der dramatischen Wohnungsbau-Situation in Berlin hat sich der bdla Berlin-Brandenburg zum Ziel gesetzt, mit Draußen: im Zentrum aktuelle Freiraum-Projekte im Wohnungsbau zu präsentieren. Die in dieser Ausstellung gezeigten 23 gebauten Außenräume stehen in den Rubriken „Neu erstellt“, „Frisch erweitert“, „Rund erneuert“‚ stellvertretend für die gewachsene Bedeutung eines gesamtgesellschaftlichen Anspruchs: Der urbane Mensch lebt nicht im Haus allein!
Die best-practice-Beispiele von 19 Berliner Landschaftsarchitekturbüros dokumentieren ambitionierte und kreative Leistungen rund um den Wohnungsbau.

Beteiligung

Hier zeigt sich das große Potential an Aufenthaltsqualität, das wirksam wird, wenn Experten im urbanen Freiraum zu Werke gehen. Die Auswahl beleuchtet darüber hinaus die Herausforderungen, mit denen die Disziplin umgehen muss, was die komplexen Raumansprüche und beschränkten Ressourcen insbesondere in der städtischen Nachverdichtung angeht. Gerade hier, wo es zukünftig verstärkt um Qualität statt Quantität gehen wird, bedarf es intelligenter wie pragmatischer Lösungen gleichermaßen. Umso wichtiger ist eine konsequente Beteiligung der Profession Landschaftsarchitektur, im aktiven wie auch passiven Sinn! Die Eingangsbemerkungen machen klar: Berlin hat hier einen Ruf zu verteidigen!

Schlüsselbegriffe

Über die Abbildungen hinaus sind die 23 Projekte auch in Texten ausführlich beschrieben. Entsprechend der Entwurfsmethodik und zentralen Teilaspekten der Freiraumplanung im Wohnbereich sind alle Beschreibungen mit Schlüsselbegriffen durchgängig gegliedert: Zunächst wird ein Konzept als tragende Idee entwickelt, damit einher geht die Raumbildung. Daraus werden die Funktionsbereiche abgeleitet und im Detail entwickelt: Fahrrad-, PKW-, Feuerwehr-Flächen, Müllstandorte, Wegeerschließung, Vegetationsflächen, Mietergärten, Kinderspielbereiche Dabei spielen die unterschiedlichen Raumansprüche der Nutzungen bzw. Funktionen und die Generationengerechtigkeit bzw. Barrierefreiheit eine wichtige Rolle.

Eine besondere Herausforderung stellt die Integration ökologischer Aspekte dar: Niederschlagsversickerung, Dachbegrünung, Minimierung der Versiegelung, also die Berücksichtigung bzw. Verbesserung der naturschutzfachlichen Schutzgüter (Wasser, Boden, Luft, Flora und Fauna), die im Berliner Biotopflächenfaktor nachzuweisen und mit den funktionalen und gestalterischen Aspekten in Einklang zu bringen sind.

Die Wirtschaftlichkeit spielt sowohl bei den Herstellungs- als auch bei den Unterhaltungskosten eine immer wichtigere Rolle. Der schönste Freiraum nützt nichts, wenn seine Pflege nicht gewährleistet werden kann. Damit der Ort gut altern und langfristig funktionieren kann, kommt es auch ökologisch und auch sozial auf Nachhaltigkeit an.

Schließlich bildet die Besonderheit der Gestaltung, das Alleinstellungsmerkmal eines Freiraums. Im Zusammenspiel mit der Architektur bildet dieser eine wichtige Basis für die Identitätsbildung eines Quartiers.

Ausblick

Wohnkultur online

Die Ausstellung Draußen: im Zentrum versteht sich als Denkanstoß und Impuls für zeitgemäße grüne Wohnkultur. Als Online-Format stützt sie den Anspruch auf weite und einfache Verbreitung ihrer Bilder und Thesen.

Eckstein

Draußen ist „in“, keine Frage. Und noch wichtiger ist: gut gestalteter Außenraum wird zukünftig ein wesentlicher Eckstein sein, um im 21. Jahrhundert nachhaltig funktionierende, gemischte Quartiere in unseren Städten zu gewährleisten. Nicht erst das aktuelle europäische Flüchtlingsdrama macht deutlich, wie fragil gesellschaftliches Miteinander in der Wohlstandsgesellschaft werden kann, wenn Ressourcen knapper und urbane Räume enger werden.

Begegnungsort

Das Draußen steht im Fokus. Als Ort des Zusammenlebens einer Stadtgesellschaft, die sich aus unterschiedlichsten Einkommensniveaus, Ethnien und Altersgruppen zusammensetzt. Als Sphäre, in der die Summe der Individualismen nicht die Gemeinsamkeit erdrückt. Als gemeinsames Zuhause von vielen, in dem Toleranz und Solidarität geübt werden kann. So, wie der Religionsphilosoph Martin Buber es sagt: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung.“

Fachkompetenz

Wenn dieser Anspruch gehalten werden will, muss dafür gesorgt sein, dass auch die Mittel fürs Draußen drin sind. Bei Planung und Bau, bei Unterhalt und Pflege. Fachkompetenz ist langfristig nicht durch Facility-Management zu ersetzen.

Freiraumqualität

Eins ist offensichtlich: Für stabile urbane Außenräume gibt es viele Erfahrungswerte, aber keine Patentrezepte. Investition in Freiraumqualität lohnt sich. Null-acht-fünfzehn-Lösungen helfen nicht weiter. Man hat es immer mit Menschen zu tun.

phs

Literatur

Literatur:
Vier Siedlungen der Weimarer Republik, Ausstellungskatalog, bauhaus Archiv für Gestaltung, Berlin 1984
Stadterneuerung Berlin, Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, Berlin 1990
Stadt, Haus, Wohnung, Hrsg. v. Hans Stimmann, Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, Berlin 1995
Werkstatt Großsiedlung, bdla Berlin-Brandenburg, Berlin 1996
Drehbuch Freiraum, Hrsg. v. János u. Daniele Kárász, MA 50/Wohnbauforschung der Stadt Wien, Wien 2010
grüner wohnen, Dt. Landschaftsarchitektur-Preis 2011, Hrsg. v. Bund Deutscher Landschaftsarchitekten, Basel 2011
Zeiträume, Dt. Landschaftsarchitektur-Preis 2013, Hrsg. v. Bund Deutscher Landschaftsarchitekten, Basel 2013
Stadtgrün, Hrsg. v. Almut Jirku, Bund Deutscher Landschaftsarchitekten, Stuttgart 2013
urban living, Hrsg. v. Kristien Ring, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Berlin 2014